7. Januar 2025 – Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Reeperbahn als die sündigste Meile der Welt galt. Erotikshops, Bordelle und Sex-Live-Etablissements säumten die Straße und machten das verruchte Viertel zu einem Anziehungspunkt mit zweifelhaftem Ruf, fast ausschließlich für Männer attraktiv. Doch spätestens seit Einzug der Digitalisierung hat sich die Reeperbahn neu erfinden müssen. Die Zeiten, in denen der Berzirk nur vom Rotlicht bestimmt wurde, sind vorbei. Heute ist der Kiez Kult und bietet eine Menge bunte, mitunter schrille Vielfalt an Kultur für die ganze Familie. CarpeGusta hat sich auf Spurensuche begeben und zeigt, wie vielfältig, verrückt und unterhaltsam Entertainment auf St. Pauli im Jahr 2025 zelebriert wird.
Stylisch übernachten
Ausgangspunkt unserer Reise ist das elegante Viersternehotel „Arcotel Onyx“ direkt am Anfang der Reeperbahn. In schicker schwarzer Außenoptik sticht es mit seinen beiden bewusst schiefen Haustürmen ins Auge und lädt Gäste mit modern-stylischem Interieur zum gemütlichen Entspannen ein. Lobby, Rezeption und Bar überzeugen durch zeitlosen Chic. Pompös gestaltete Möbelstücke, beispielsweise ein übergroßer thronähnlicher Sessel direkt am Eingang, setzen optische Akzente. Die Gänge werden mit hellem Neon – mal in kräftigem Blau, mal in strahlendem Pink – ausgeleuchtet.
Die großzügigen Zimmer überzeugen ebenfalls mit ihrer stilvollen Einrichtung: Trendige Sitzmöglichkeiten in auffälligem Gelb, das großzügige Bad und innovativ gestaltete Fenster samt Sims zum Sitzen und Hinausblicken machen den Aufenthalt in der Hansestadt – lange bevor man sich zum Feiern aufmacht – zu einem kleinen Event, wie die Fotos in unserer Bildergalerie „Sightseeing im Arcotel“ eindrucksvoll unterstreichen.
Feiern mit der ganzen Familie
Auf die Verschnaufpause im Hotel folgt dann unweigerlich das Erlebnis in Musical, Theater oder Restaurant: Das „Schmidtchen-Theater“ etwa präsentiert auf seiner kleinen Bühne ein frisches, junges Programm für ein experimentierfreudiges Publikum. Im „Stage Operettenhaus“ wartet eine humorvolle Version von Shakespeares „Romeo und Julia“. Wer gerne mal auf du und du mit Weltstars sein möchte, trifft im Wachsfigurenkabinett „Panoptikum“ zum Beispiel auf Sänger Ed Sheeran und Hollywood-Legende Julia Roberts. Und in „Panic City“ begegnen Udo-Lindenberg-Fans ihrem Idol in einer fulminanten Multimediawelt.
Weiter geht’s auf die berühmte „Große Freiheit“ – eine der wohl bekanntesten Straßen, die von der Reeperbahn abzweigen. Zwischen zwei Stripbars, letzte Reliquen aus vergangenen Zeiten, und der Kirche St. Joseph (r.) befinden sich zahlreiche „normale“ Bars und Clubs. Dort schlägt der Beat unüberhörbar laut und eindringlich, versprüht ausgelassene Partystimmung. Unterschiedlichste Musikrichtungen (von House über Pop bis hin zu Schlagermusik) beherrschen die farbenfrohe Gasse. Travestie-Künstlerin Olivia Jones betreibt hier gleich mehrere Lokale: ihre Man-Strip-Bar „Olivias wilde Jungs“ zum Beispiel, in die nur Frauen Zutritt bekommen, und die „Olivia Jones Bar“. CarpeGusta stattete dem „Olivia Jones Show Club“ und dem „The Bunny Burlesque St. Pauli“ einen Besuch ab. Groß war die Erwartung – und gleichermaßen groß die Enttäuschung. Was genau uns, sagen wir, überrascht hat und warum der Abend vollkommen anders verlief als gedacht, lesen Sie in unserem Bericht „Olivia-Jones-Potpourri“.
St. Pauli privat
Tipp: Wer zum ersten Mal auf St. Pauli ist, sollte das ganze Ambiente zunächst einmal auf sich wirken lassen und sich erst dann in den Trubel stürzen. Das gelingt am besten, wenn man einfach planlos die Meile entlangwandert. Dabei sollte einzig und allein die eigene Neugier den Weg bestimmen, um sich ganz und gar dem einzigartigen Flair dieses legendären Bezirks hingeben zu können. Danach erst empfiehlt es sich, den sicherlich etwas anderen Blick hinter die Kulissen zu werfen, idealerweise im Rahmen einer geführten Tour. Davon gibt es jede Menge. Teilweise werden sie jedoch von Guides geleitet, die von der Historie allerdings nicht wirklich viel verstehen und entsprechend distanziert bis lieblos von einer Sache reden, von der sie überhaupt keine Ahnung haben, weil sie St. Pauli einfach nicht leben.
So jedenfalls erlebten wir es im Herbst bei „Freetour“ (r.). „Nehmen Sie an einem kostenlosen Rundgang mit einem erfahrenen Fremdenführer teil, der Ihnen gerne sein Wissen über dieses bunte und aufregende Viertel, in dem die unterschiedlichsten Menschen leben, vermittelt!“, warb der Veranstalter. In unserem Fall begleitete uns jedoch ein wenig motivierter Guide, der erst seit ein paar Jahren in der Metropole ansässig war. Sein Vortrag mutete nicht nur trocken und öde an; schlimmer wog noch die Tatsache, dass er mit unüberseh- und -hörbarer Abscheu über die „dreckige Seite Hamburgs“ und ihre Bewohner sprach. Ach ja, und gratis war die Tour nicht wirklich: Mindestens 20 Euro Trinkgeld pro Person erwarte (!) man denn doch, hieß es nach jeder Menge Wortakrobatik gleich zu Beginn.
Der Geist des Kiezes
Umso essenzieller ist es also, sich vor der Buchung über den Background der Tourleitung zu informieren. Nicht-Hamburger sind nach unserer Erfahrung nicht wirklich geeignet, weil sie nach unserer Beobachtung ihr Programm einfach nur steril, ja kalt abspulen. Denn authentische Anekdoten über St. Pauli kennt schließlich nur, wer hier großgeworden ist und seinen Alltag dort verbringt.
Bei unserer Suche fiel die Entscheidung deshalb auf Daniel Schmidt (r.) und Fabian Zahrt (lks.) – mehr dazu in unseren Reportagen „Unterwegs mit Daniel“ und „On Tour mit Fabian“. Der eine, seit seinem 18. Lebensjahr Chef des legendären „Elbschlosskellers“, ist mit St. Pauli verbunden wie kaum ein zweiter. Der andere, früher lange Jahre als „Wirtschafter“ tätig und inzwischen ein Kultkoberer, verkörpert regelrecht den Geist des Kiezes. Ihre persönlichen Geschichten und oft eher eigenwilligen Perspektiven erlauben interessante, skurrile, humorvolle, insbesondere aber überzeugende Einblicke in einen Mikrokosmos, der so lange verpönt gewesen ist und heute nicht zuletzt durch Menschen wie sie rehabilitiert wird.